Zella-Mehlis ist reich an Geschichte!
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Objekt des Monats November 2023 – Notgeld
Vor 100 Jahren, im November 1923, erreichte die Hyperinflation in der jungen Weimarer Republik ihren Höhepunkt. Die deutsche Wirtschaft lag am Boden, der Staat war pleite. Um seine Schulden dennoch bezahlen zu können, wurde immer mehr Geld gedruckt. Die Hyperinflation war eine Spätfolge des Ersten Weltkriegs, der viel Geld kostete: für Soldaten und ihre Verpflegung, für Waffen und Munition, für Transport und Logistik. Geld, das das Deutsche Reich nicht hatte.
Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, am 4. August 1914, hob die Reichsregierung die gesetzliche Einlösungspflicht der Reichsbank in Gold auf. Die Finanzierung des Krieges erfolgte mit Hilfe von Kriegsanleihen, die der Staat ausgab und die anfangs von der Bevölkerung begeistert gezeichnet wurden, später aber kaum noch Investoren fanden. Zusätzlich führte der Staat eine Parallelwährung ein, die Darlehenskassenscheine, die neben den Reichsmarkscheinen der Reichsbank von den Darlehenskassen ausgegeben wurden. Ihr Wert entsprach dem der Reichsmarkscheine, und auch sie besaßen keinen realen Wertanker in Form von Gold mehr.
Darlehenskassenschein im Wert von 50 Mark aus dem Jahre 1914
Die Schlachten des Ersten Weltkrieges brachten nicht nur Millionen von Toten in den Schützengräben. Sie bedeuteten auch eine immense Vernichtung von Kapital in Europa. Das Geld ging buchstäblich in Flammen auf.
Bei Kriegsende 1918 hatte die Mark offiziell bereits mehr als die Hälfte ihres Wertes verloren. Die eigentliche Ursache der Inflation, die sich ab 1919 beschleunigte und ab Mitte 1922 in eine Hyperinflation überging, war die massive Ausweitung der Geldmenge in den ersten Jahren der Weimarer Republik durch die hohen Reparationszahlungen. Das besiegte Deutschland musste im Friedensvertrag von Versailles enorme Reparationsforderungen akzeptieren.
Bereits während des Ersten Weltkrieges sahen sich die Länder und Gemeinden gezwungen, zur Überbrückung des Mangels eigene Banknoten, sogenanntes Notgeld, in Umlauf zu bringen.
Die Ausgabe von Notgeld lässt sich in vier Perioden einteilen. In der ersten Periode wurde der Druck von Banknoten, meist 50 Pfennig und 1 Mark, durch die Hortung von Silbermünzen seit Kriegsbeginn unumgänglich. Die ersten Scheine dieser Art wurden zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Ostpreußen ausgegeben, noch in den Jahren 1914/15 folgten Ausgaben von 450 Stellen im gesamten Deutschen Reich.
In der zweiten Periode zwischen 1916 und 1921/22 wurden wegen Rohstoffmangels neben Silber- auch Kupfer- und andere Münzen knapp, zudem setzte ab Oktober 1918 wegen der absehbaren Kriegsniederlage eine allgemeine Bargeldhortung in der Bevölkerung ein, sodass die Regierung Großindustrie, Städte und Gemeinden aufforderte, dem Mangel durch Notgeldscheine und Notmünzen abzuhelfen. Insgesamt sprangen über 580 Banken, Sparkassen, Städte, Gemeinden, Landkreise und private Unternehmen in die Bresche und deckten den Bedarf durch eigene Ausgaben.
Notgeld der Städte Zella St. Blasii und Mehlis aus dem Jahre 1917
Ein Reichsgesetz vom 17. Juli 1922 verbot die weitere Ausgabe von Serienscheinen und anderem Notgeld, doch konnte dieses Verbot wegen erneuter Geldknappheit infolge eines Streiks der Arbeiter der Reichsdruckerei nicht durchgesetzt werden, sodass die dritte Notgeldperiode begann. Ab Ende Juli gaben die ersten Banken und Sparkassen wieder Notgeld aus, vor allem Scheine zu 500 und 1000 Mark. Ab dem 18. September 1922 genehmigte die Reichsregierung durch Erlass des Reichsministers der Finanzen erneut die Ausgabe von Notgeld, das damit offiziellen Charakter erhielt. Insgesamt waren 715 Ausgabestellen an den Notgeldausgaben beteiligt. Vielerorts, so auch in Zella-Mehlis, entstand lokales Notgeld mit zum Teil künstlerischen Motiven, sogenannte Serienscheine.
Notgeld (Serienscheine) der Stadt Zella-Mehlis aus dem Jahre 1922
Die Motive der Notgeldscheine unserer Stadt stellen auf humorvolle Weise den Zusammenschluss der beiden Städte Zella St. Blasii und Mehlis zur gemeinsamen Stadt Zella-Mehlis im Jahre 1919 dar. In den Bildtexten heißt es:
Ob ich's wage, meine Tage
mit dem Alten zu beschließen?
Ob die Kleine als die Meine
mir das Dasein zu versüßen?
Endlich ist das Werk gelungen!
Und in Lieb' und Einigkeit
halten sie sich fest umschlungen,
bis in alle Ewigkeit.
Kaum vereint versuchen beide,
auseinander schnell zu rennen.
Ja, es bleibt der Welt 'ne Freude
zwei sich liebende zu trennen.
Im August 1923 traten neue Vorschriften für die Geldausgabe in Kraft, die die vierte und letzte Notgeldphase der deutschen Inflation einleiteten. Es wurden vor allem gedruckte Banknoten und Schecks ausgegeben, deren Nennwert geringfügig unter dem Nennwert der gleichzeitig umlaufenden Reichsbanknoten lag (zunächst 100.000 bis 5 Millionen Mark, im November in einigen Orten bis zu 100 Billionen Mark), um ausreichend Wechselgeld zur Verfügung zu haben. Vielerorts wurden, bereits vorhandene, Notgeldscheine kurzfristig mit neuen Werten überdruckt.
Oben ein Notgeldschein der Stadt Zella-Mehlis vom 10. Oktober 1922, unten ein gleicher Schein mit neu aufgedrucktem Wert vom 22. September 1923
Im November 1923 erreichte die galoppierende Inflation ihren Höhepunkt und führte zum teilweisen Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft und des Bankensystems. Zwei komplette Banknotenserien zu 1.000 und 5.000 Mark konnten Anfang 1923 nicht mehr in Umlauf gebracht werden, sie mussten Ende 1923 mit den Aufdrucken „1 Milliarde“ und „500 Milliarden“ eingelöst werden. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Reallöhne sanken ins Bodenlose. Einige Beispiele für den Preisverfall:
Vor dem Krieg | Juli 1923 | November 1923 | Nach Einführung der Rentenmark | |
500 gr Brot | 14 Pfennig | 5.000 Mark | 260 Milliarden Mark | 22 Rentenpfennig |
500 gr Fleisch | 90 Pfennig | 90.000 Mark | 3200 Milliarden Mark | 110 Rentenpfennig |
500 gr. Butter | 140 Pfennig | 150.000 Mark | 6000 Milliarden Mark | 220 Rentenpfennig |
1 Glas Bier | 13 Pfennig | 3.000 Mark | 150 Milliarden Mark | 34 Rentenpfennig |
60 Streichhölzer | 1 Pfennig | 1.500 Mark | 55 Milliarden Mark* | 2 Rentenpfennig |
* Ein Streichholz kostete demzufolge über 900 Millionen Mark!
Bald rechneten die Menschen in Bündeln statt in Scheinen. Geld wurde in Schubkarren transportiert, Geldbündel als Heizmaterial zweckentfremdet, die Inflation wurde zum deutschen Trauma.
Zeitungsmeldungen aus dem Inflationsjahr 1923
Über Nacht waren die oft jahrelang angesparten Rücklagen dahin. Die Kriegsanleihen des Staates waren wertlos. Die Schuldner aber waren gerettet. Wer sich um 1921 für ein Haus oder eine andere Immobilie verschuldet hatte, war über Nacht schuldenfrei. Nach dem Prinzip „Mark gleich Mark“ konnten Kredite 1:1 mit abgewerteter Währung zurückgezahlt werden.
Nun war es höchste Zeit, die Währung zu stabilisieren. Diese Stabilisierung forderten auch die Siegermächte als Voraussetzung für die Verhandlungen über die Reparationszahlungen, die zum Dawes-Plan führten. Die noch im November 1923 erfolgte Umstellung von Mark auf Rentenmark mit einem Kurs von 1.000.000.000.000 M : 1 RM (1 Billion Mark : 1 Rentenmark) beendete die deutsche Inflation. Die wirtschaftliche Lage stabilisierte sich im Laufe des Jahres 1924.
Die Papiermark-Banknoten blieben als wertstabiles Notgeld (1 Billion Mark gleich 1 Rentenmark) noch bis Anfang 1925 im Umlauf, da die neue Rentenmark erst nach und nach in Umlauf gebracht werden konnte.
Die große Anzahl der mit viel Lokalkolorit gestalteten Scheine weckte bald das Interesse von Sammlern, was dazu führte, dass viele Notgeldscheine nicht mehr für den Umlauf, sondern speziell für Sammler gedruckt und ausgegeben wurden und noch heute ein beliebtes Sammelobjekt darstellen. (ls)
Glossar
Museum
"Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch."
ICOM-Museumsdefinition 2023