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Objekt des Monats März 2024 – Petschaft
Ein ortsgeschichtlich interessantes und einzigartiges Exponat wurde uns kürzlich von einem ortsansässigen Bürger als Dauerleihgabe überlassen. Es handelt sich um das Petschaft der Weberinnung Benshausen. Es stammt vermutlich aus der Zeit zwischen 1669 und 1687, als die damals für Benshausen zuständige sächsische Regierung die Gründung von Handwerksinnungen anordnete, und zwar für Schneider, Weber, Wagner und Hufschmiede, Maurer und Zimmerleute sowie Metzger.
Das Petschaft oder Siegelstempel besteht aus einem gedrechselten, mit Kerbschnitt verzierten Holzgriff, an dem eine in Zinn gefasste, gravierte Siegelplatte aus Messing befestigt ist. Die spiegelbildliche Gravur wird in eine weiche, aushärtende Masse, meist Wachs oder spezielles Siegelwachs, gedrückt. Sie dient dazu, die Identität eines Absenders auf einem Brief oder die Zustimmung des Siegelträgers zu einer Urkunde zu bezeugen. Auch die Unversehrtheit eines Behältnisses, das nicht geöffnet werden darf, kann auf diese Weise nachgewiesen werden.
Siegel und Siegelabdruck in Siegelwachs.
Was ist auf dem Siegel zu sehen? Das Petschaft bzw. dessen lesbarer Abdruck zeigt neben einem stilisierten Wappenschild mit allerlei Symbolen in der Umschrift den Inhaber des Siegels: „SIGEL DES WEWERHANTWERCKS IM AMPT BENSHAUS“. Der Wappenschild enthält Symbole des Weberhandwerks wie Spulrad, Weife, Webspule, Weberschiffchen und Webkamm (Riet). Außerdem sind noch die Wappensymbole von (Chur-)Sachsen, die sogenannte „Sächsische Raute“ und der Grafschaft Henneberg (Henne auf Berg) für die staatliche Zugehörigkeit der Weberinnung und des Amtes Benshausen deutlich erkennbar.
(1) Umschrift, (2) Wappenschild, (3) Spulrad und Weife (4) Webspule (5) Sächsisches Landeswappen, (6) Hennebergisches Wappen, (7) Weberschiffchen, (8) Webkamm, Riet
Insgesamt ist über die Weberei in Benshausen wenig bekannt, obwohl die Existenz einer eigenen Zunft auf ihre große Bedeutung für den Ort hinweist. Martin Berndt schreibt in seinen 1914 erschienenen „Heimatkundlichen Betrachtungen“ folgendes:
„Die Weberei, die in Benshausen vor hundert Jahren noch in hoher Blüte stand, erlitt durch die technischen Umwälzungen des vorigen Jahrhunderts ebenfalls einen harten Stoß und manchem Weber erging es wie so manchem Nagelschmied, der seine Arbeit an den Nagel hängen mußte, womöglich an den selbstgeschmiedeten, um sich auf andere Weise sein Brot zu verdienen. Aus dieser Zeit mag auch folgender Reim stammen:
Weber, Weber schupp, schupp, schupp,
Schupp die ganze Woche,
Wenn der liebe Sonntag kommt,
Haben sie nichts zu koche.“
Das es etliche Weber im Ort gab scheint unbestritten, immerhin wird in alten Schilderungen von einem Weberviertel im Benshäuser Unterdorf im Bereich der Fingergasse berichtet.
Karl Weise liefert in seinem „Heimatbuch“ noch einige Zahlen zu Handwerk und Gewerbe einschließlich der Weber:
„Einzelne Nachrichten über das Handwerk in Benshausen gehen bis zum Dreißigjährigen Kriege zurück. 1628 werden schon aufgeführt: 5 Weber, 2 Schneider, 6 Schmiede, 2 Schlosser, 2 Wagner, 2 Zimmerleute, 1 Drechsler, 1 Büttner und 3 Metzger. … Die Weber fertigten Stoffe aus Leinen und Barchent. Während der Blütezeit des Weinhandels und Frachtwesens fanden sie gute Beschäftigung durch Herstellung von Wagenplanen und Fuhrmannskitteln. Viele von ihnen hießen Keiner, und zwar schon etwa seit 1730. Der letzte dieses Handwerks – auch ein Keiner – webte bis um 1910 noch Semmeltücher für Bäcker und Auspreßsäckchen.“
Historische Darstellung eines Frachtfuhrwerkes mit gewebter Plane auf dem Marktplatz in Benshausen. (Aus: Ferd. Vorhauer: „Erinnerung an Benshausen“, Lithographie um 1850)
Thüringer Fuhrmann mit Fuhrmannskittel („Blaukittel“), Anfang 20. Jahrhunderts (Aus: Luise Gerbing: Die Thüringer Trachten 1925)
Mit dem Ende des Weinhandels ab Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Niedergang des Fuhrgewerbes, vor allem durch die Entwicklung der Eisenbahn, kam auch das Ende der Weberei; in der Folge wurde auch der Flachsanbau aufgegeben. Was bleibt, sind Erinnerungen und, wie mit dem nun dem Museum als Leihgabe überlassenen Petschaft, ein weiterer wichtiger Sachzeuge der Geschichte. (ls)
Glossar
Museum
"Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch."
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