Zella-Mehlis ist reich an Geschichte!
Neuigkeiten
Objekt des Monats Juni 2024 – Innungslade
Unser Objekt des Monats Juni 2024 stammt aus der Sammlung des ehemaligen Waffen- und Kleineisenmuseums, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter anderem von amerikanischen Besatzungssoldaten geplündert wurde. Dessen Restbestände bildeten einen Teil der Sammlung, die ab den 1950er Jahren für das neu entstehende Heimatmuseum zusammengetragen wurde und heute im Ausstellungsbereich Büchsenmacherhandwerk des Stadtmuseums in der Beschußanstalt zu sehen ist. Es handelt sich um die Lade der Zellaer Büchsenmacherinnung von 1762.
Die älteste Büchsenmacherinnung unseres Gebietes wurde 1563 in Suhl für die Grafschaft Henneberg gegründet. Wie die Büchsenmacher, Schlosser und Rohrschmiede in Zella St. Blasii und Mehlis damals organisiert waren, ist weitgehend unbekannt. Unser Gebiet gehörte vor 1111 zum fränkischen Grabfeldgau und unterstand den Grafen von Henneberg. Durch umfangreiche und vielschichtige politische Entwicklungen wurde das Gebiet zeitweise gevierteilt.
Wegen des Fehlens eigener Innungen wurden sie von den privilegierten Suhler Handwerkern zunächst nicht anerkannt. Mit dem Beitritt zur Suhler Innung 1593 beruhigte sich die Situation. Doch schon bald traten die hiesigen Rohrschmiede aus der Suhler Innung aus und gründeten bis 1605 eine eigene. Wenige Jahre später spalteten sich auch die anderen Gewerke ab und organisierten sich in der 1629 bestätigten „Ehrbaren Gesellschaft des Büchsenmacher-, Schlosser-, Sporer-, Uhr- und Windenmacher-Handwerks zu Zella“, der auch die Mehliser angehörten. Bereits 1636 ist die Gründung einer eigenständigen Innung für das Schlosserhandwerk von Zella und Mehlis belegt. 1643 forderten die Mehliser eine eigene Innung, die aber wohl erst um 1800 gegründet wurde. Die beiden Ortsinnungen vereinigten die Büchsenmacher, Garniturmacher, Rohrmacher und -zieher, Rohrschlosser, Schlosser, Stecher und Systemmacher, im 19. Jahrhundert auch die Gelbgießer und Kurzwarenmacher, später auch die Werkzeugmacher. Sie bestanden bis 1931, als eine gemeinsame Innung gegründet wurde.
Stempel der Büchsenmacherinnungen von 1855, 1916 und 1935
Einer der wichtigsten Gegenstände einer Innung bzw. Zunft war zweifellos die Lade, die unter den verschiedensten Bezeichnungen wie Zunfttruhe, Zunftlade, Innungslade oder auch Amtslade etc. überliefert ist. Es handelt sich dabei um ein kastenförmiges, durch Inschriften und Embleme gekennzeichnetes Aufbewahrungsmöbel aus dem ehemaligen Besitz einer Innung bzw. Zunft. Sie diente nicht nur der Aufbewahrung wichtiger Dokumente und Wertgegenstände, sondern spielte auch eine wichtige Rolle bei Amtshandlungen und Zeremonien.
Aus dem Jahr 1855 ist ein Inventarverzeichnis der Zellaer Büchsenmacherinnung erhalten. Neben einer Lade sind darin weitere Besitztümer aufgelistet, u.a. ein Willkomm (Trinkbecher mit Meisterzeichen), ein Bierkrug aus Zinn, das Petschaft (Zunftsiegel), verschiedene Rechnungen und andere Dokumente.
Inventar der Büchsenmacherinnung von 1855
Rechnung der Innung für die Jahre 1765/66
Unsere Lade ist aus Holz gefertigt und außen komplett mit diversen Intarsienarbeiten verziert. Neben floralen Motiven befindet sich auf dem Deckel das Innungszeichen der Schlosser, Terzerol- und Windenmacher. Schloss, Scharniere und die beiden Griffe sind aus Eisen gefertigt.
Deckel mit dem Innungszeichen
Bei Versammlungen der Innung wurde die Lade in feierlichem Zeremoniell von den beiden Innungsmeistern, von denen jeder einen Schlüssel besaß, mit den Worten: „Mit Gunst die Lade wird geöffnet. Ein jeder hüte sich vor Schaden“ geöffnet. Bei geöffneter Lade sieht man auf der Innenseite des Deckels über dem Zunftzeichen die Inschrift: „ober Meister J.J.St., ober Meister J.P.b., Altgesell Johann Valtin Schneider und Ladenschreiber Johann Veltin Diemar“ sowie die Jahreszahl „Anno Christy 1762“.
Solange die Truhe geöffnet war, war jeder Umtrunk und jedes böse Wort zu unterlasse, ebenso Karten- oder Würfelspiele, auch Waffen waren abzulegen. Sobald die Lade geöffnet war, hatte die Sitzung „Kraft und Macht“, das Schließen der Lade bedeutete die Unterbrechung oder das Ende der rechtskräftigen Sitzung. Bei geöffneter Lade wurden alle wichtigen Angelegenheiten der Zunft behandelt. Vor ihr wurde der Lehrling freigesprochen, der Geselle zum Meister ernannt und Streitigkeiten geschlichtet.
Geöffnete Lade der Zellaer Büchsenmacher-Gesellschaft von 1762 (Foto: G. Halir)
Bei geöffneter Lade erkennt man links ein kleines geschlossenes Fach, das nur durch Verschieben eines versteckten Mechanismus geöffnet werden kann; hier wurde sicherlich das Siegel aufbewahrt. Ein weiterer versteckter Mechanismus ermöglicht es, eine der Seitenwände nach oben zu schieben; dadurch wird eine im Boden versteckte Schublade zugänglich, in der wahrscheinlich die wichtigsten Dokumente aufbewahrt wurden.
Die Lade wurde in der Regel im Haus des Obermeisters oder am Sitz der Innung aufbewahrt. Da sich die Zünfte und Innungen relativ kurz vor der Gründung von Museen auflösten oder sich nach neuen, modernen Regularien organisierten, nach denen die alten Bräuche nicht mehr gepflegt wurden, sind solche Zunft- und Innungsladen, so auch bei uns, in die Sammlungen von Stadt- und Heimatmuseen eingegangen. (ls)
Glossar
Museum
"Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch."
ICOM-Museumsdefinition 2023