Zella-Mehlis ist reich an Geschichte!
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Objekt des Monats Oktober 2024 – Karabinerhaken
Er schützt vor Kletterabstürzen im Gebirge, hält den Hund an der Leine, sorgt für sicheren Sitz des Schmucks am Hals der Liebsten und hat schon manch nervenaufreibende Schlüsselbund-Suche verhindert. Wahrscheinlich ist die Geschichte des Nicht-Verloren-Gehens eng mit dieser kleinen technischen Errungenschaft verbunden, die in ihrer einfachen Genialität der Büroklammer oder dem Dübel gleichkommt. Da er unter den vielen in Zella-Mehlis hergestellten Produkten eine bedeutende Rolle einnahm, ist der Karabinerhaken unser Objekt des Monats.
Das Prinzip ist bekannt: Ein zu einem gerundeten Haken länglich gebogenes Metallstück bildet bei Verschluss mit dem sogenannten Schnapper – dem beweglichen Schlagteil des Metallumlaufs - eine sich zur lastaufnehmenden Seite (Bogen) hin verbreiternde Ösenform. Der Schnapper lässt sich per Finger gegen leichten Widerstand eindrücken und schnellt nach dem Loslassen durch ein offen oder verdeckt liegendes Federsystem formabschließend in die Ausgangsposition zurück, wo er durch die am Ende des Bogens sitzende sog. Nase stabil vor dem Ausschlagen verzahnt wird. Geschlossen sieht das Konstrukt aus wie ein verformter Ring, die namensgebende Hakenform sowie seine Funktionalität bekommt es nach der Öffnung: Schnell ist er an Ösen, Schlaufen, Ringen fixiert – eingehakt eben – und dient nach dem Verschluss als sicheres Bindeglied zweier Objekte.
Normal-Karabinerhaken mit versteckter Feder. Dieser Haken wurde speziell für Werbezwecke in Übergröße hergestellt und ist in unserer Ausstellung zu sehen.
Dieser allseits bekannte Normal-Karabinerhaken wird heute durch einen unüberschaubaren Variantenreichtum modifiziert. Die Anwendungsvielfalt in Handwerk, Technik, Sport, Freizeit etc. ist derartig groß, dass jeweils ganz unterschiedliche Anforderungen an Ergonomie, Laststabilität und Bedienbarkeit zum Tragen kommen. Soll er nur den Schlüssel an der Hose sichern, genügt ein schmaler, fast unscheinbarer Bogen mit einfachem Federverschluss. Große Transporthaken sind demgegenüber statischen, aber starken Zugbelastungen ausgesetzt, was die Notwendigkeit von Bogenverstärkungen nach sich zieht. Bergsteigerhaken müssen wiederum dynamischeren Kräften standhalten, etwa herabfallende Menschen kurzfristig „auffangen“ oder beim abrupten Aufschlagen an schroffen Felswänden „dichthalten“, was angepasste, speziell sichernde Verschlusssysteme erfordert.
Bei aller Vielfalt ist den Karabinerhaken jedoch eines gemein: Die regelmäßig auf Kurzfristigkeit angelegte, sichere Verbindung zweier oder mehrerer Objekte bei gleichzeitig einfachster Trennbarkeit bildet ihren Wesenskern. Dies hat sich vom Anbeginn ihrer Verwendung bis heute nicht geändert.
Seinen Ursprung nimmt der Haken im Militärwesen. Wenn Reiter der Kavalerie des 17. und 18. Jahrhunderts das zügige Verstauen ihres kurzläufigen Gewehrs, dem Karabiner (daher der Name), auf dem Pferd sicherstellen wollten, so nutzten sie dafür eine schnell zu öffnende, stählerne Metallöse mit Schnappverschluss am Brustgurt (Bandelier) und verbanden diese mit einem seitlich an der Schusswaffe befestigten Metallring. Das Gewehr war damit kurzerhand beiseite „gehangen“, konnte aber nach dem beschriebenen Prinzip jederzeit wieder schnell gelöst werden. Der Einsatz für das Militär blieb auch im 19. Jahrhundert noch die vorherrschende Verwendungsdominante, wenn auch Boots- und Schiffbau das Prinzip des Hakens zunehmend für sich zu entdecken begannen.
Auch an Zella-Mehlis sollte der schrittweise Siegeszug des Hakens nicht spurlos vorbeigehen. Die im 19. Jahrhundert noch zweigeteilte Stadt hatte sich in der Kleineisenindustrie einen Namen gemacht, was dem Einfließen des Verbinders in ihr Gesamtportfolio sehr zugute kam. Untrennbar mit der hiesigen Produktion von Karabiner-Haken verbunden ist die Firma Bernhard Haseney, die wir deshalb kurz portraitieren wollen.
Im Jahre 1876 beantragte der 31-jährige Handwerksmeister Bernhard Haseney die handelsgerichtliche Eintragung der (später umbenannten) Firma „Eisen und Stahlwaren Zella-Mehlis“ beim Amtsgericht Zella St. Blasii. Mit seiner Frau Amalie und Sohn August lebte er im Kellergeschoss des Hauses Sandiger Weg 2/Ecke Rodebachstraße (heute Kuhstirn), die gleichzeitige Adresse der ersten Fertigungsstätte. Die Produktion beschränkte sich zunächst auf die Herstellung von Laubsägebögen, Butter- und Käsebohrern, Patronenausziehern und Zangen zur Viehmarkierung. Der Karabinerhaken gewann vor allem in den 1880er Jahren zwar zunehmend an Bedeutung, stand anfangs aber „nur“ gleichberechtigt neben den anderen Erzeugnissen des noch kleinen Unternehmens.
Fortschreitende Industrialisierung und rasantes Bevölkerungswachstum Ende des 19.Jahrhunderts befeuerten die Nachfrage nach Produkten der Firma. Anfang des 20.Jahrhunderts begann der Karabinerhaken relativ zügig die anderen Sortimente zu verdrängen, wofür der zunehmende Einsatz im zivilen Bereich und auch das Heraufkommen des Klettersports um 1900 einen nicht unerheblichen Beitrag leisteten. Konstruktion und Bau zweier Drahtbiegemaschinen im Betrieb waren die Folge, welche die schwere Handarbeit beim Hakenbau ersetzten und den Stückzahlenaufschwung weiter beschleunigten. Außerdem wurden die Werkstätten vor Ort nahezu im 3-jährigen Rhythmus erweitert.
Als Bernhard Haseney 1914 im Alter von 69 Jahren starb, traten seine Söhne August und Hugo, sowie sein Schwiegersohn Paul Öhring als gleichberechtigte Inhaber die Folge in der Geschäftsleitung an. Auch die Aufnahme des aus dem Erzgebirge stammenden Kaufmanns Reinhold Queck erwies sich als förderlich für die Prosperität der Firma, welche Schifffahrt, Landwirtschaft, Feuerwehr, Industrie und Sport zunehmend mit Karabinern versorgen konnte.
1930 bestand das Produktportfolio der Firma aus folgenden Erzeugnissen:
- Normal-Karabiner (in vielfältiger Größe und Gewicht)
- Feuerwehr-Gurt-Karabinerhaken (aus verstärkten Material; Bayrisches Modell; Leipziger Modell)
- Karabinerhaken für Mähmaschinen-Gespanne (Ur-Form des Hakens, doch entsprechend groß)
- Karabinerhaken zum Tragen und Aufziehen von Lasten (besonders große, laststabile Haken mit speziell verdicktem Bogen, die bis zu einer Tonne problemlos heben konnten)
- sog. Hundeleinenzangen, (eine spezielle Form des „Hakens“, die ein schnelles „Ein- und Ausklinken“ des Tieres ermöglichte)
- Polizeigummiknüppelkarabinerhaken
- Simplex-Karabinerhaken (besonders kleine, eben simple Haken, etwa für die Aufnahme von Schlüsseln)
- Karabinerhaken für Feldflaschen, Rucksäcke, Schulterriemen, Säbelkoppel und Beiltaschen
(Anm.: Offiziell für den Bergsteigersport deklarierte Bergsteiger-Karabiner lassen sich um diese Zeit noch nicht nachweisen. Diese wurden wahrscheinlich erst ab Ende der 60er – Jahre offiziell also solche in die Produktpalette aufgenommen.)
Verschiedene Karabinerhaken aus Stahl
Der Ausstieg von August Haseney im Jahr 1934 tat dem Unternehmenserfolg keinen Abbruch. Die Nachfrage nach Karabinern wuchs stetig, so dass sich Hugo Haseney und Schwager Paul Öhring 1937 zum Bau eines 3-geschossigen Fabrikbaus veranlasst sahen. Dieser brachte neben der Kapazitätserweiterung für die inzwischen 80 Beschäftigten des Unternehmens verbesserte Arbeitsbedingungen mit sich. Auch das Exportgeschäft gedieh in der Folgezeit außerordentlich und machte 1939 ca. 50 Prozent des Gesamtumsatzes aus.
Im Zweiten Weltkrieg lief das Geschäft mit Karabinern weiter, diesmal unter Federführung von Walter und Richard Haseney, die Ihren 1940 verstorbenen Vater Hugo als gleichberechtigter Gesellschafter der OHG ablösten und neben Paul Öhring fortan die Geschäfte führen sollten. Paul Öhring starb 1944.
In der Mangelwirtschaft der Nachkriegszeit blieb der Bedarf an Karabinerhaken zwar hoch, Material-, Geld- und Energieknappheit brachte die Firma unter Richard Haseney, der nach dem Wegzug seines Bruders Walther aus der DDR 1953 als letzter Namensträger in Erscheinung treten sollte, aber in Schwierigkeiten. 1959 kam es zur Teilverstaatlichung, nicht nur, um den nunmehr geltenden volkseigenen Tarif zur Arbeitskräftesicherung zur Anwendung zu bringen, sondern auch für die Bereitstellung von Investitionsmitteln.
Als schließlich auch Richard Haseney 1962 verstarb, übernahm Reinhold Queck, inzwischen zum Werksleiter aufgestiegen und seit über 40 Jahren im Unternehmen tätig, die Geschäfte. Ihm und dem kaufmännischen Leiter Gerhard Hoffmann ist es zu verdanken, dass sich die Exporte vor allem auch ins nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet andauernd als rentabel erwiesen.
Die späten 60er Jahre markierten schließlich einen bedeutenden Wendepunkt in der Karabinerhaken-Fertigung, nicht nur der Firma Haseney, sondern der Produktion in Deutschland überhaupt: der bislang noch überwiegend aus Stahl geschmiedete, schwere Bergsteiger-Karabiner wurde durch einen Haken aus einer leichteren Aluminium-Legierung ersetzt, die bei deutlich geringerem Eigengewicht der international geforderten dynamischen Zugbelastung standhielt, statt bislang max. 1400 jetzt bis zu 2000 Kilopond. Auslöser für diesen Entwicklungsschritt war u.a. ein tödlicher Unfall von Bergsteigern der DDR-Nationalmannschaft an der Eiger-Nordwand, an welcher lastinstabile Import-Alu-Karabinerhaken zum Einsatz gekommen waren. Der als Ruppberg später bekannt gewordene Kletterhaken aus Zella-Mehlis wog gerade einmal 61 Gramm und sollte nur Wochen nach seiner Markteinführung in der Münchner Fachzeitung für Bergsteiger erste Anerkennung erfahren. Qualität „Made in GDR“.
Bergsteiger-Karabinerhaken, Typ Ruppberg, Variante Standard 72 a
Mit der am 17. Juli 1972 erfolgten Umwandlung zu Volkseigentum und Umfirmierung in den VEB Karabinerhakenfabrik Zella-Mehlis verschwindet der Name Haseney schließlich aus der Firmengeschichte, fast 100 Jahre nach Unternehmensgründung. Dem Erfolg der Karabinerhaken-Produktion in der Region tat dies aber noch keinen Abbruch, zu groß war der Bedarf in In- und Ausland. Sogar Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft fanden ihren Weg in die neuen Produktionsstätten in Metzels und Fambach. Die Gesamtbeschäftigtenzahl betrug im Jahr 1976 80 Vollbeschäftigungseinheiten (VbE) – wie bereits 1937 – dies jedoch bei gleichzeitig verdoppelter Produktionszahl.
Haken gleichen Typs unterschiedlicher Größe des VEB Karabinerhakenfabrik Zella-Mehlis
Erst die Zeit der großen Kombinatsgründungen ab 1981 führte zum Absinken der Rentabilität. So wurde die Fabrikation von Karabinerhaken dem Kombinat Wohnkultur zugeordnet, ein Schritt, der heute nicht zu Unrecht Stirnrunzeln verursacht. Der VEB Karabinerhaken erfuhr selbst wiederum Angliederungen durch den VEB Armaturen, den VEB Hartverchromung und den VEB Stahlwaren. Infolge dieser Zusammenschlüsse wurden die Verwaltungen größer und größer, notwendig werdende Investitionen ließen die Kosten explodieren, das Geschäft mit Karabinerhaken wurde zunehmend unrentabler. Lag die Export-Rentabilität im Jahr 1965 noch bei 1,5 (Devisenerlös zum Betriebspreis), sank diese Ende 1989 auf 0,4.
Die Nachwendezeit war in erster Linie durch die Abwicklung der Betriebskonglomerate bestimmt. Auch die nun von Amts wegen aus dem VEB umgewandelte Thüringer Karabinerhakenfabrik war davon betroffen, da Rückführungsversuche an und eine eventuelle Firmenweiterführung durch Erbberechtigte der Haseneys auf Dauer ohne Erfolg blieben. Mit Beschluss vom 9. November 1994 des Amtsgerichtes Meiningen wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet, die Gesellschaft vollständig aufgelöst.
Vor fast genau 30 Jahren ging damit ein bedeutendes Kapitel in der Zella-Mehliser Industriegeschichte zu Ende. Die Geschichte des Karabinerhakens wird hingegen fortgeschrieben. Hersteller gibt es heute viele auf dem Weltmarkt. Besonders glücklich aber kann sich schätzen, wer einen echten „Haseney“ sein Eigen nennen darf. Im Stadtmuseum in der Beschussanstalt können einige Exemplare besichtigt werden. (ad)
Glossar
Museum
"Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch."
ICOM-Museumsdefinition 2023