Zella-Mehlis ist reich an Geschichte!
Neuigkeiten
Objekt des Monats Dezember 2024 – Bienenwabenzange
Jetzt, vor Weihnachten, findet köstlicher Bienenhonig in unzähligen Backwaren seine wohltuende Bestimmung. Diesen aus dem Ladenregal zu kaufen ist einfach, ihn praktisch zu gewinnen, erfordert ein wenig mehr Aufwand. Neben gründlichem Know-How um das Bienenwesen und reichlich Geduld, ist auch einiger handwerklicher Aufwand erforderlich, um an das flüssige Gold zu gelangen. Dem modernen Imker stehen dabei zahlreiche mechanische Diener zur Seite. Ein unscheinbarer, doch nicht unbedeutender, ist seit jeher die Bienenwabenzange (oft auch nur Wabenzange oder Bienenzange). Diese ist nicht nur ein griffiger Helfer beim sorgfältigen Umgang mit Bienenvölkern, sondern auch historischer Bestandteil der Zella-Mehliser Kleineisenproduktion. Deshalb rückt sie heute als Objekt des Monats in den Fokus.
Bienen sind faszinierende Lebewesen. Hierarchische Strenge innerhalb des Volkes zwischen Königin, Drohnen und Arbeiterinnen, die Hand in Hand geht mit der allseits bekannten Emsigkeit, zeichnen sie aus. Alles ist auf effektivste Art und Weise dem eigenen Fortbestand unterworfen, eine Art Superorganisation, deren Mechanismen uns trotz aller gewonnenen Kenntnisse noch immer kindhaft faszinieren. Scheinbar ganz nebenbei bestäuben sie bei ihrem Treiben die Blüten, sorgen für Artenreichtum und das Gedeihen von Obst und Gemüsepflanzen, die wiederum unsere Nahrungsgrundlage bilden. Ein Drittel der von Menschen konsumierten Nahrungsmittel hängt von der Bestäubung durch Insekten, wie den Bienen ab. Und natürlich gehen aus dem Wirken dieser Tiere viele nützliche Dinge hervor, die sich der Mensch seit Jahrtausenden zunutze macht, wie Honig, Propolis und Wachs, um nur einige zu nennen.
Der achtsame Imker ist daher vor die Aufgabe gestellt, diese wertvollen Diener der Natur möglichst schonend zu behandeln. Er ist im optimalen Falle geflissentlicher Handwerker bei der exakten Anlage der den natürlichen Bienenstöcken nachempfundenen Bienenkästen. Darüber hinaus ist er aber auch Hüter und Bewahrer der Bienen, der Krankheitserreger (wie die Varroa-Milbe) fernhält und für ausreichend Nahrung sorgt. Vor allem gilt es, Stress von den Tieren abzuwenden, die extrem anfällig für Geruch-, Lärm- und Bewegungsbelästigungen sind. Verminderte Lebensdauer bis zum Absterben des Volkes (wenn die Königin übermäßig leidet), verminderte Bestäubungsleistung, verschlechterte Brutpflege und aggressives Verhalten sind nur einige negative Konsequenzen, die Stress zur Folge hat. Hier vorzubeugen, ist oberstes Gebot.
Der Imker und seine Bienen; hier aus Wilhelm Busch: Bildergeschichten, „Schnurrdiburr oder die Bienen“, Zweites Kapitel.
Diese Aufgabenfelder, wie auch die Ernte der den Bienen eigenen Produkte, bringen es mit sich, die Tiere in ihren künstlichen Behausungen regelmäßig heimzusuchen, sprich, sich den Brut- und Honigwaben körperlich zu nähern. Der Imker kommt nicht umhin, für Überprüfung oder Ernte die Bienenkästen zu öffnen und die Waben zu entnehmen. Er bewegt sich dadurch allerdings in ein Spannungsfeld hinein: einerseits muss er für das Wohlergehen des Volkes sorgen, andererseits stellt seine Nähe selber bei unsachgemäßer Vorgehensweise einen maximalen Stressor dar. Dass hierin Konfliktpotenzial liegt, wird deutlich, wenn man sich den Aufbau eines Bienenkastens vor Augen führt. Dieser besteht in der Regel aus übereinander gestapelten Einzelkästen, sogenannten Zargen oder Beuten, meist in rechteckiger oder quadratischer Form. Der untere Kasten beherbergt den Brutraum, in dem die Königin ihre Eier legt und die Brut heranwächst. Darüber liegen ein bis mehrere Honigräume, in denen der produzierte Honig durch die Arbeiterinnen eingelagert wird. Innerhalb eines Kastens bilden lose eingehängte Holzrähmchen die Grundlage für den darin ablaufenden Wabenbau. Diese sind magazinartig nebeneinander (Oberbehandlunsgbeuten) oder hintereinander (Hinterbehandlunsgbeuten) angeordnet, in jedem Falle eng genug, um einen hohen Wärmeverlust im Bau zu vermeiden, weit genug, um gleichwohl ausreichend zu belüften und ein Verkleben der darin angelegten Waben zu verhindern und eine einzelne Herausnahme zu erleichtern.
Nähert sich der Imker ohne weiteres Hilfsmittel zur Kontrolle oder Ernte, ist er gehalten, sich mit der ganzen Fülle seines bestenfalls in ausufernde Schutzkleidung gehüllten Daseins über die bienenübersäten Waben zu beugen, um die zarten Wabenrähmchen zu greifen. Dies stellt bei den vorherrschenden Oberbehandlungsbeuten, bei denen der Zugriff von oben erfolgt, weniger Probleme dar. Die Waben präsentieren sich hier buchregalartig nebeneinander, liegen alle zugriffsbereit gleichzeitig offen. Gleichwohl ist auch hier besondere Sorgsamkeit beim Herausziehen der Rähmchen gefragt, die durch Wachsverklebungen oft fragil sind und einen präziseren Zugriff erfordern, als ihn behandschuhte Hände gewährleisten können. Bewährtes Hilfsmittel ist der Wabenzieher, eine etwas komplexere Variante der hier gegenständlichen Wabenzange.
Größere Herausforderungen stellen Hinterbehandlungsbeuten dar, die bei vielen Hobby-Imkern noch immer sehr beliebt sind. Hier sind die Rähmchen mit den Waben hintereinander in den Zargen angeordnet. Für die schrittweise Entnahme von vorne ist ein immer tieferes Hineingreifen in die Zarge erforderlich, was rein händisch bei der Enge der Bauweise ein unpräzises, möglicherweise sogar zerstörerisches Unterfangen wäre. Ohne passendes Hilfsmittel ist Tumult im Bienenvolk vorprogrammiert, Stress bei den Bienen und schließlich auch beim Imker die Folge, der Hände, Kopf und große Teile des Oberkörpers unter Umständen sogar den Angriffen zornig gewordener Tiere preisgeben würde.
Schonende Entnahme der Rähmchen durch den Imker mit Hilfe der Wabenzange bei einer Hinterbehandlungsbeute.
Hier nun leistet die Wabenzange ihren unterstützenden Beitrag. Rein äußerlich ist sie wenig spektakulär. Zwei Stahlarme, bei denen die längeren Griffteile über eine zentrale Drehachse oder ein Scharnier in zwei mit Zacken versehene, gerade auslaufende oder zusätzlich abgewinkelte Greifbacken münden, bilden das Gesamtkonstrukt. Anders als etwa bei einer Flach- oder Spitzzange schließen die Greifbacken nicht vollständig gegeneinander ab, was der oft zusätzlich schnabelartigen Biegung einer der Greifbacken geschuldet ist. Diese dient dazu, im geöffneten Zustand einen spitz zulaufenden Winkel zu vermeiden und – rähmchengerecht – eine annähernd rechteckige Greif-Aussparung zu bilden. Natürlich variieren heutige Modelle am Markt, diese Grundform hingegen schimmert immer durch. Überhaupt zeigt ein Vergleich von Eisen- und Stahlwaren-Musterbüchern Zella-Mehliser Grossisten des frühen 20. Jahrhunderts mit modernen Produktkatalogen eine erstaunliche Designkonstanz und Veränderungsresistenz der Zange ‒ ein Beweis bereits frühzeitiger Perfektion.
Einen nicht unerheblichen Anteil daran hatten auch die Zella-Mehliser Unternehmen der vorletzten Jahrhundertwende. Aus dem Nebel der Industriegeschichte der Stadt tauchen Namen und Firmen wie August Lenz, Carl Weisbach, Georg Gressmann, Wesche & Ruppelt und Bolte & Anschütz“ auf, die u.a. bei der Entwicklung und dem Vertrieb von Geräten zur Unterstützung der professionellen Imkerei deutschland- und europaweit eine bedeutende Rolle spielten.
Musterbuch Eisen- und Stahl-Kurzwaren und Werkzeuge, Bolte & Anschütz, Zella-Mehlis, zwischen 1919 und 1936; Seite 40, oben links: Bienenzange oder Wabenzange.
Leider verlieren sich die Spuren dieser Produzenten, da ihre Firmenhistorien so gut wie nicht dokumentiert sind. Unter Sammlern, Kennern und Historikern sind ihre Produkte gleichwohl auch heute noch sehr geschätzt. Erfolgreiche Imkereibedarf-Produktionslinien Zella-Mehliser Provenienz waren übrigens nicht ausschließlich Folge des hier ansässigen Kleineisengewerbes, in dessen Gesamtbestand unkomplizierte Produkte wie die Wabenzange ganz von selbst Eingang gefunden hätten. Die Imkerei hatte in der Stadt lange Tradition. Die hohe Biodiversität des Thüringer Waldes und der umgebenden Bergwiesen bot Bienen seit Jahrhunderten eine hervorragende Nahrungsquelle, was schlussendlich auch der Imkerei als Wirtschaftszweig vor allem im 18. und 19. Jahrhundert, sowie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einigem Aufschwung verhalf. Ein Aufgreifen und Ausentwickeln von bienengerechten Produkten durch die hochspezialisierte Metallwarenindustrie vor Ort konnte da gar nicht ausbleiben. Davon hat auch die Wabenzange profitiert.
Die Arbeit mit der Wabenzange.
Die nötige Distanz zu den Bienen wahrend und stressvermeidend, doch ausgestattet mit der gleichen Griffsicherheit einer groben Hand kann der Imker mit ihr sanft die Waben am Rähmchen packen und hintereinander der Beute entnehmen. Neben der eigentlichen Funktion des optimalen Griffs am rechteckigen Rähmchen, gewährleisten Abwinklung und die einseitige Einbiegung an den Griffbacken dabei auch eine zentrierte Haltung des Handgelenks in jeder Situation. Die elegante Form der Greifenbacken verhindert gleichzeitig, dass Tiere aus Versehen verletzt oder gar erdrückt werden, wie es bei der auch nicht ungefährlichen händischen Entnahme fast unvermeidbar wäre. Für die Bienen und den Imker erweist sich die Zange also als wahrer „Schutzengel aus Stahl“, nicht wenige halten sie sogar – etwas poetisch – geradezu für ein Symbol der Präzision, Fürsorge und die tiefe Verbindung von Mensch und Natur. Wer ganz so weit nicht gehen will, muss zumindest anerkennen, dass mit ihr ein Instrument geschaffen wurde, bei dessen Verwendung jeder Handgriff von einigem Respekt vor den Lebewesen zeugt, die für die Bestäubung und das Überleben vieler Pflanzen und schließlich auch Mensch und Tier verantwortlich sind. Insofern sind auch zukünftige Generationen von Imkern gut beraten, auf ihre Dienste zurückzugreifen. Bei deutschlandweit etwa 143.000 Imkern und Imkerinnen, sollte der Bedarf an Wabenzangen weiterhin hoch bleiben.
Tipp: Wenn die Zella-Mehliser Imkerei heute auch als Wirtschaftszweig ihre wesentliche Bedeutung eingebüßt hat, muss der Honigfreund trotzdem nicht auf das flüssige Gold aus hiesiger Produktion verzichten. Ausreichend Hobby-Imker sorgen vor Ort mit ihren Völkern noch immer für ausreichend Nachschub. Eine Möglichkeit ist es zum Beispiel, dem Stadtmuseum in der Beschussanstalt oder der Gesenkschmiede im Lubenbachtal einen Besuch abzustatten. Neben reichlich Erkenntnissen rund um Zella-Mehlis, kann hier auch feinster Bienenhonig erworben werden, den Frank Eiselt, Mitarbeiter der Museen und hingebungsvoller Hobby-Imker, seinen fleißigen Sammlern zu verdanken hat ‒ eine gesunde Alternative zu den schokoladigen Genüssen der Weihnachtszeit und eventuell auch noch ein letztes kleines Geschenk für den Weihnachtsbaum. Die Museen haben übrigens in der Vorweihnachtszeit und an den Weihnachtsfeiertagen geöffnet (außer am 24. Dezember). Das Museumsteam wünscht ein frohes Fest und erholsame Feiertage. (ad)
Glossar
Museum
"Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch."
ICOM-Museumsdefinition 2023