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Objekt des Monats Januar 2024 – Bullen-Kastrierzange
Eindrücklich ist sie in jeder Hinsicht. Schelmisches Kichern, leichtes Unbehagen und ein wenig Ehrfurcht folgen ihrem Anblick. Nicht umsonst rangiert sie unter den Lieblingsobjekten unserer Museen ganz weit vorn. Einige wissen bereits, worum es sich handelt – die Bullen-Kastrationszange, die unser erstes Objekt des Monats im Jahr 2025 sein soll.
Historische Abbildung eines Ur-Rindes, der „Europäische Auerochse“. Aus: Naturhistorische Abbildungen der Säugethiere Lithographiert von C.I. Brodtmann, Zürich 1827
Seit wahrscheinlich 12.000 Jahren gehört das domestizierte Rind zum Bestand menschlicher Kulturleistungen. Nach Ziege und Schaf gilt es als frühestes, der menschlichen Obhut unterworfene Tier des Erdballs. Ganz sicher leistete es schon im alten Mesopotamien, in Ägypten, Griechenland und Rom unschätzbare Arbeit in Feld, Wald und Wiese, lieferte Milch, Fleisch und feinen Dünger für das Wachstum der Pflanzen. Freiwillig ließ sich das Rind aber nicht in das Nutztier-Inventar seiner zweibeinigen Herren einreihen. Der Domestizierungsprozess vom strammen Auerochsen, dem einstmals weit verbreiteten Ur-Rind, hin zum braven Wiederkäuer in allen seinen heutigen Ausprägungen, erforderte einiges an Aufwand und geschah nicht über Nacht.
Historische Abbildung eines „Zahmen europäischen Stieres“. Aus: Naturhistorische Abbildungen der Säugethiere Lithographiert von C.I. Brodtmann, Zürich 1827
Dazu gehörte das Fangen, Einhegen und langsame Gewöhnen der wilden Tiere an den Menschen über Generationen, sowie das teilweise Jahrtausende andauernde Herauszüchten aggressiver Linien durch gezielte Wahl eher milder gestimmter Tiere für die Fortpflanzung. Aber auch der Kastrationsprozess, also das Entfernen der Fortpflanzungsorgane der Stiere, war den Altvorderen vom Zweistromland bis nach Zentraleuropa als Mittel der Ruhigstellung und verbesserten Nutzbarmachung bekannt. Man hatte bereits „in grauer Vorzeit“ ganz ohne die wissenschaftlichen Methoden, die uns heute zur Verfügung stehen, zumindest eine durch Beobachtung gewonnene, oberflächliche Kenntnis davon, dass neben dem Fortpflanzungs-, auch das überschüssige Aggressionspotenzial, welches einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit den Tieren oft im Wege stand, unterhalb des Schwanzes zu verorten ist, dass das eine das andere gleichsam bedingt. Das dafür ursächliche, in den Hoden gebildete Steroidhormon Testosteron wurde tatsächlich erst 1935 nachgewiesen und isoliert. Erst seit 90 Jahren wissen wir also fundiert, warum sich territoriales Verhalten wie Rangkämpfe, plötzliche aggressive Ausbrüche, aber auch verstärktes Muskelwachstum bei „unbehandelten“ Tieren in ganz besonderem Maße zeigen.
Bis dahin verließ man sich folglich auf den (ganz richtigen) Instinkt, durch künstliche Eingriffe in die primären Geschlechtsmerkmale vor allem bei männlichen Tieren, die Fortpflanzung in kontrollierte Bahnen lenken, sowie Verhaltensweisen reduzieren zu können, die eine ruhigen Aufzucht und Haltung einschränkten. Ganz nebenbei bemerkte man schnell, dass Ochsen, wie man den kastrierten Stier schon im alten Ägypten nannte (entsprechend divergierende Hieroglyphen belegen dies) auch eine dem Verzehr zuträglichere Fleischqualität aufweisen – weniger zäh, durch erhöhten Fettanteil, besser texturiert und milder im Geschmack. Die Ochs-Werdung des Stiers brachte für die Menschen also seit jeher ausschließlich Vorteile mit sich, ein Fakt, der für das Leben und Überleben der frühen Landwirtschaftskulturen noch viel bedeutungsvoller war, als für uns Spätgeborene, die weniger an „das Tier gebunden sind“. Vor diesem Hintergrund kommt dem Kastrationsakt am Rind – und damit dem dafür vorgesehenen Instrumentarium wie unserer Zange – im Gesamthaushalt menschlicher Aufwallungen eine durchaus überragende Bedeutung zu.
Für den Stier war dieser Akt freilich noch nie ein wirklicher Grund zur Freude, wurde er in spätarchaischen Kulturen, der Antike, im Mittelalter, bis hinein in die Neuzeit regelmäßig doch auf äußerst blutige bzw. schmerzhafte Weise vollzogen. Die Hoden der Jungtiere wurden teilweise einfach ab- oder über die Bauchdecke herausgeschnitten, was angesichts vollkommen fehlender Anästhesie, chirurgischer Präzision der Laien-Operateure (Hirten, Züchter, später dann Kastrierer) und schlimmen hygienischen Bedingungen unvorstellbaren Schmerz und in den warmen Gebieten schwerste Infektionskrankheiten der offenen Wunden mit sich brachte. Verkümmerungen des Tiers und auch dessen Tod waren keine seltenen Folgen. Das sogenannte Brandmarken, also das Aufdrücken eines heißen Eisens zur Zerstörung der Hoden stand dem in seinen Folgewirkungen kaum nach. Das straffe Abbinden oder Abdrücken mittels Ringband oder sog. Kluppen (Spangen aus Holz oder Metall) von Samenleiter und Blutgefäßen oberhalb des Hodensacks bis zum Absterben und Abfallen, erwies zwar als deutlich unblutiger, nichtsdestotrotz litt das unbetäubte Tier über den gesamten Zeitraum der Maßnahme große Schmerzen, wie zahlreiche Arztberichte etwa noch aus dem 19. Jahrhundert für die Anwendung der Kluppen belegen. Auch das subkutane Verdrehen der Samensträngen, die sogenannte Bistournage, darf als durchaus leidvoll gelten. Der Erfindungsreichtum des Menschen dahingehend, den Stier für seine Ausnutzung zu bändigen, erwies sich stets als groß – für das Fortschreiten der Zivilisation von immensem Nutzen, für das Tier, das immerhin um seine charakterbildenden Organe gebracht wurde, stets leidvoll. Erstaunlich ist, dass sich die beschriebenen Maßnahmen äußerst resistent gegen den Lauf der Geschichte stemmten und vielfach sogar heute Anwendung finden, vor allem in Regionen, wo es der nachhallenden Volkstradition in der „Behandlung“ der Tiere noch gelingt, die Sensibilität gegenüber dem Geschöpf in den Hintergrund zu drängen.
Als durchaus erfreulich darf deshalb die Erfindung unserer Kastrationszange vermerkt werden, die in ihrer Bauform auf den italienischen Veterinärmediziner Napoleone Burdizzo zurückgeht. Dieser hatte 1890 sein tiermedizinisches Studium in Turin abgeschlossen und nach 20-jähriger Praxis im Jahre 1910 das von ihm entwickelte Gerät für die unblutige Kastration in verschiedenen Ländern patentieren lassen. Ausschlaggebend für seine Erfindung waren die Erkenntnisse um Nachblutungen und Wundinfektionen durch die um die Jahrhundertwende noch immer weit verbreiteten blutigen Behandlungen. Das Instrument sollte schlichtweg offene Wunden durch invasive Eingriffe vermeiden und den Nutzen der Kastration durch eine kurzfristige Quetschung der Samenstränge und Hodenarterien sicherstellen. Inwieweit hierbei das reine Tierwohl, das uns Heutige stark beschäftigt, Anfang des 20. Jahrhunderts auch ein motivierender Faktor war, ist zumindest fraglich. Zwischen 1910 und 1930, zur Zeit der dynamischen Marktimplementierung der Zange, war es mit wirklichem, am Tierwohl orientierten Tierschutz sicherlich nicht wirklich weit her. Dieser fand unter dem Eindruck dampfender Schlote, ratternder Maschinen, der Beschleunigung aller Lebensverhältnisse und einer rasant wachsenden Stadtbevölkerung, die, dem natürlichen Landleben des 19. Jahrhunderts durch Industrialisierung mehr und mehr entrückt, nach immer mehr „anonymen“ Fleisch verlangte, noch keinen lauten Fürsprecher. Viel eher ging es in erster Linie darum, den Verkaufswert der Tiere, der durch die Fleischqualität bestimmt wurde, zu erhalten und zu erhöhen - merkantile Antriebe also, denen durch Wundinfektion oder Krankheit geschwächte Tiere sicher nicht in die Karten gespielt wurde. Schmerzlindernde Anästhesie am Menschen war zu dieser Zeit zwar längst bekannt (etwa ab 1840), für Tiere aber allenfalls leise anempfohlen und noch lange keine verpflichtende Notwendigkeit. Es darf also davon ausgegangen werden, dass der Zangen-Eingriff in seiner ersten Anwendungsphase nur spärlich von lokalen Betäubungen begleitet wurde und schmerzseitig allenfalls milde Abhilfe schaffte. Dem Siegeszug der Zange, der bis heute anhält, stand dies jedoch in keiner Weise entgegen, zu groß waren ihre Vorteile, die sich aus Form und Funktion erschließen.
Ihre breiten Quetschflächen sind glatt, abgerundet und schmal. Die beiden Backen verjüngen sich in ihrem halbkreisförmigen Verlauf und tendieren im geschlossenen Zustand regelmäßig zur Kreisform, wobei das uns zur Verfügung stehende Modell hier leicht abweicht. Das Gelenk mit doppelter Übersetzung besteht aus vier kleinen Teil-Gelenken. Eines befindet sich zwischen den Backen, die drei kleineren sind nebeneinander angeordnet und verbinden die Verlängerung der Backen mit den Schenkeln. Letztere wiederum sind flach, gerade und breit und laufen in zwei aufgeschraubten und auswechselbaren Holzgriffen aus. Der Zangenkopf mit den Backen und Gelenken ist silbrig glänzend, die Schenkel eher matt. Das uns vorliegende Modell der Firma Aesculap darf als ein sehr frühes gelten, da die obere Quetschbacke noch über keine Cord-Stop-Metallnasen verfügt, die später ein Herausrutschen der Samenstränge wirksam verhindern sollten. Für die Benutzung unsere Zange war deshalb regelmäßig eine zusätzliche Skrotumklemme vonnöten, welche erst mit der Modernisierung der Zange um die Mitte des Jahrhunderts obsolet wurde.
Die Zange wurde und wird am stehenden Tier angewendet. Ein Einsatz kommt hauptsächlich bei Stierkälbern bis zu einem Alter von sechs Monaten infrage, ist bei älteren Tieren allerdings auch möglich. Die Hoden des Tieres werden dabei zunächst mit einer Hand in den Hodensack herabgezogen. Danach wird der zu quetschende Samenstrang mit einer Hand an eine Seite des Skrotums gedrückt und mit zwei Fingern gehalten. Nun wird die Skrotumklemme derart am Hodenhals befestigt, dass beide Samenstränge in deren Aussparungen fixiert werden. Nun wird die geöffnete Zange mit der anderen Hand auf den Samenstrang gelegt und mit Hilfe des Knies geschlossen wird. Der Anwender muss dabei eine erste Grifffestigkeit einhalten, mittels derer der zu quetschende Samenstrang nicht mehr aus der Zange entweichen kann, ohne jedoch das Skrotum zu verletzen, das weiterhin durchblutet werden soll. Die Zange wird anschließend mit beiden Händen geschlossen. Dadurch wird die subkutane Quetschung und Unterbrechung des Samenstranges erreicht. Die Zange wird etwa nach einer Minute geöffnet, eine zweite Quetschung in leichtem Versatz erfolgt im Anschluss. Nach ca. 40 Tagen tritt bei Jungtieren die vollständige Rückbildung der Hoden ein, während dieser bei älteren Tieren Größe in Walnuss-Form beibehält. Auch dieses Gewebe kann aber über die Zeit vom Körper abgebaut werden.
Anwendung der Zange mit zusätzlicher Skrotumklemme.
Für die Tierzüchter des (frühen) 20. Jahrhunderts war die Zange ein Segen. Sie bot vor allem den großen Vorteil, zu jeder Jahres-, Tages- und Nachtzeit angewendet werden zu können, infektiöse Fliegen und den Heilungsprozess beeinträchtigende Witterungsbedingungen außen vor lassend. Die kargen Lichtverhältnisse in den damaligen Ställen waren für den Halter angesichts der Einfachheit des Eingriffs nun auch kein Hemmnis mehr, ein Herausführen des Tieres aus dem Stall ans Licht nicht nötig, wie dies noch bei der blutigen Kastration der Fall war. Auf Hilfskräfte konnte angesichts der relativ schlichten Bedienbarkeit der Zange,ebenso verzichtet werden. Ihre einfache Handhabung sowie die Kürze des Prozesses am einzelnen Tier ermöglichten zudem eine rasche Kastration ganzer Herden. Die jungen Stiere wiederum profitierten deutlich von der Kürze und Unblutigkeit ihres Kastrationsprozesses, wenngleich sich eine verpflichtende Betäubung am Tier zur wirklichen Schmerzlinderung länderübergreifend und flächendeckend erst Ende des 20. Jahrhunderts bis Anfang des 21. Jahrhunderts durchsetzte! Letzteres ist sicher auch Grund dafür, dass die Zange andere Methoden der Kastration, etwa chirurgische Eingriffe oder per Gummiband nicht gänzlich verdrängt hat, die, heute regelmäßig unter Vollnarkose und zusätzlich lokaler Betäubung vorgenommen, dem berechtigten Anspruch nach mehr Tierschutz schon sehr entgegenkommen. Neuere Kastrationsmethoden, etwa die Injektion von Hormonpräparaten oder mittels Laserstrahl, verheißen noch weitergehende Leidminderung. Eine gesicherte Zukunft der Zange ist deshalb zumindest fraglich. Entwicklungsgeschichtlich in sie in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Mit ihrer auf Eingriffs-Kürze, Flexibilität und Massentauglichkeit angelegten Funktionsweise ist sie zum einen ein tiefer Ausdruck ihrer Entstehungszeit, in der die industrialisierte und mechanisierte Massentierhaltung allmählich zum Standard heranreifte. Gleichzeitig – und das wollen wir ihr zugute schreiben – war sie ein entscheidender Schritt, dem Tier, auch wenn dieses schlussendlich auf den Tellern der Nationen landete, im Vorfeld einiges Leid zu ersparen.
Wer ihre heute gebräuchliche, veterinärmedizinische Handhabung nachvollziehen möchte, findet dafür ausreichend Anschauungsmaterial auf bekannten Videoplattformen. Wem ihr bloßer Anblick und das dazugehörige Kopfkino genügt, der kann dem Stadtmuseum in der Beschußanstalt einen Besuch abstatten. (ad)
Glossar
Museum
"Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch."
ICOM-Museumsdefinition 2023