Zella-Mehlis ist reich an Geschichte(n)!
Neuigkeiten
Objekt des Monats Februar 2025 – Bobschlitten
Da war er wieder. Dieses Jahr aber immer nur kurz und wenig und gleich wieder weg – der Schnee. Wenn das so weitergeht, weiß keiner mehr, etwas mit unserem Objekt des Monats anzufangen. Die Benutzung ist unter den aktuellen Bedingungen sowieso nicht mehr möglich. Wie war das vor 100 Jahren, als man den Bobsleigh oder Lenkschlitten noch auf Naturbahnen im Thüringer Wald bewegen konnte und in unseren Breiten damit Meisterschaften ausfuhr?
Der Schlitten an sich begleitet die Menschen seit der Urzeit. Der deutsche Name leitet sich vom Mittelhochdeutschen „sliten“ = gleiten ab. Schlitten dienten nicht nur im Winter zunächst vor allem als Transport- und Verkehrsmittel. Im Depot des Stadtmuseums befinden sich eine ganze Reihe von Schlitten für verschiedene Zwecke. Unser Objekt des Monats war nur zum Vergnügen und zum Wettkampf gedacht und kann in der Dauerausstellung besichtigt werden.
Es handelt sich um einen Bobsleigh oder Lenkschlitten. Zwei durchgehende Kufen aus elastischem und belastbarem Eschenholz mit unterbrochenen Metallbeschlägen können mittels Lenkrad vorn leicht verbogen werden. Dadurch lenkt der Schlitten in die Kurven. Die Materialkombination aus Metallverstrebungen und -verstärkungen, hölzernem Lenkrad mit Metallspeichen, Holzkufen und Holzsitzfläche macht ihn sehr belastbar. Als Bremse und vielleicht auch zum Lenken dienen am hinteren Teil des Schlittens zwei einzeln zu betätigende Metallhebel mit gedrechseltem Holzgriff. Die Länge von etwa 1,50 Metern spricht dafür, dass es sich um einen Zweisitzer handelt. In den Kufen ist links und rechts „E.H. Schlüter OBERHOF 175“ eingestanzt. Das deutet auf den Vertrieb durch Erwin Schlüter hin, der laut Einwohnerbuch von 1926 in Oberhof mit Sportartikeln, Weiß- und Wollwaren handelte und Mitgründer des Oberhofer Wintersportvereins war. Aus welchem Jahr der Schlitten stammt (von Schlüter gebaut oder nur vertrieben) ist nicht bekannt, genau sowenig, wer ihn in Zella-Mehlis nutzte. Die stellenweise bis aufs Holz abgewetzten Metallbeschläge der Kufen deuten auf einen intensiven Gebrauch hin.
Lenkschlitten im Katalog August Stukenbrok, Einbeck von 1912, S. 138
Heute würden wir das Modell wohl eher als Lenkschlitten bezeichnen, dabei konnten Aussehen und Konstruktion früher Bobs variieren. Gelenkt wurde per Seilzug oder Lenkrad. Manche Bobs hatten ein Metallgestell und reine Metallkufen, andere Modelle fuhren auf metallbeschlagenen Holzkufen, je nach den Erfordernissen der Bahn. Auch die Anzahl der Mitfahrer war anfangs nicht festgelegt und konnte mehr als sechs Personen betragen. Der Name leitet sich von englisch „to bob“ her, einem rhythmischen Vor- und Zurückbewegen des Oberkörpers, um den „Bobsleigh“ zu beschleunigen. Erfunden wurde der Bob wohl von Amerikanern um 1888 bzw. 1890 in der Schweiz, die zwei Schlitten gegeneinander beweglich unter ein Gestell montierten. Schon 1901 baute Carl Benzing in Friedrichroda den ersten Stahlbob mit Radlenkung namens „Schwarzer Peter“. Seit dieser Zeit wurde der Bobsport im Thüringer Wald intensiv betrieben. Er war zunächst eher privilegierten Kreisen vorbehalten. Sehr viele Adelige, unter anderem Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha oder auch Kronprinz Wilhelm von Preußen, fuhren zum Vergnügen und bei Wettkämpfen mit. In Oberhof befanden sich 1913 zwei Bobbahnen und eine 2 km lange Lenkrodelbahn. Darunter war die 1,9 km lange Wadebergbobbahn bereits 1909 mit einem elektrisch betriebenen Drahtseilaufzug und einer elektronischen Zeitnahme ausgestattet.
Anfangs waren bei den Wettkampfdisziplinen Bobfahren und Rodeln Frauen aktiv dabei. In der Schweiz fuhren vorschriftsgemäß gemischte Teams sogar bis in die 1920er Jahre gemeinsam die Bahnen hinab. Danach, vielleicht auch weil viele Frauen durchaus erfolgreich Rennen bestritten, wurden Frauen von den Wettkämpfen ausgeschlossen. Begründung war: durch die Erschütterungen der Fahrt erhöht sich das Brustkrebsrisiko, Männlein und Weiblein kommen sich beim gemeinsamen Schlitteln zu nahe. Bei den olympischen Wettkämpfen dürfen erst wieder seit 2002 reine Frauenteams starten. Gemischte Teams sind seit 2014 neuerlich Teil der Wettkämpfe.
Herrschaftlicher Bobschlitten mit Damen in Oberhof vor dem Ersten Weltkrieg
Aber wie war es auf dem Gebiet des heutigen Zella-Mehlis um den Bob- und Schlittensport bestellt? Alfred Öhring schreibt dazu: „Der Rodelsport, mit kleinen und großen Rennschlitten, wurde ja schon von altersher auf unseren Hügeln und abschüssigen Straßen von jung und alt gepflegt. … Auch ein vorschriftsmäßiger, 7 Zentner schwerer Bobschlitten, auf den Namen ,Faule Greteʻ getauft, welcher in der Joppschen Fabrik gebaut wurde, war vorhanden. Die allabendlichen Fahrten gingen mit einer Besatzung von 5 Mann, von der Pappel bis zum Mehliser Markt. Sonntags ging es dann damit per Pferdeschlitten nach Oberhof auf der Landstraße bis zur ,Unteren Schweizerhütteʻ.“ Das war nicht ungefährlich, von Unglücken berichtet die Tagespresse immer wieder. Der Coburger Zeitung von 1912 ist zu entnehmen, dass sich am 23. Januar beim Ortsgruppenfest des Wintersportvereins Oberhof beim Bobsleighrennen die „Faule Grete“ überschlug. Dabei wurde Herr Jopp aus Mehlis schwer verletzt. Größere Preise hat zu dieser Zeit leider kein Bob aus Zella oder Mehlis eingefahren.
Heute ist der RRC Zella-Mehlis e.V. erfolgreich mit Sportlern wie Andi Langenhan (dessen Schlitten sich im Museum befindet und bei den „Führungen hinter den Kulissen“ bestaunt werden kann) und dem Duo Hannes Orlamünder/Paul Gubitz. Auch wenn wir privat keine Medaillen gewinnen, Bob- und Schlittenfahren macht einfach Spaß. Im Winter wieder mehr Schnee bitte!!! (ms)
Glossar
Museum
"Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch."
ICOM-Museumsdefinition 2023