Objekt des Monats
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Objekt des Monats November 2024 – Schusterkugel
Nun beginnt die „dunkle Jahreszeit“. Man zündet Kerzen an und macht es sich gemütlich. Wer mehr Licht braucht, hat elektrische Leuchten für verschiedene Zwecke. In Zella und Mehlis erfolgte die Elektrifizierung um 1900. Wie aber war es davor um die Beleuchtung, besonders in den Werkstätten, bestellt? Unser Objekt des Monats soll Licht ins Dunkel bringen. Die sogenannte Schusterkugel ist keine Weihnachtsdekoration, sondern eine trickreiche Erfindung, die das Arbeiten bei fehlendem Tageslicht erleichtert. Es handelt sich um eine wassergefüllte Hohlglaskugel, die das trübe Licht einer Kerze, Öl- oder Petroleumlampe in einem hellen Punkt bündelt.
Unsere recht einfach gehaltene Glaskugel, die schon im alten Heimatmuseum in der Schusterwerkstatt ausgestellt war, hat einen Durchmesser von ca. 14 cm. Als Aufhängung dient eine Lederschlaufe am wulstigen Hals der Kugel. Im Depot lagern zwei weitere Kugeln mit einem Durchmesser von 12 cm und 14,5 cm. Die größere weist einen kunstvoll gewellten Glasrand auf und ist oben an einem Eisenbeschlag mit Eisenkette zum Aufhängen befestigt. Es gab also Abstufungen sowohl in der Größe als auch der Qualität der Ausführung. Schusterkugeln wurden entweder in einen Ständer oder eine Halterung gelegt, oder an einer Schlaufe an einem Gestell aufgehängt. Es konnten bis zu vier Kugeln um eine Lichtquelle drapiert werden und auf diese Weise mehrere Arbeitsplätze gleichzeitig beleuchten. Ein Gestell zu unserer Kugel hat sich im Museum leider nicht erhalten.
Schuhmacherwerkstatt im alten Heimatmuseum Zella-Mehlis. (Foto: Ulrich Fischer)
Die Glasbläserei von Hohlgläsern war seit der Antike bekannt und durchgängig gebräuchlich. So machte man es sich wohl schon seit dem Spätmittelalter zu Nutze, dass mit Wasser gefüllte Ballonflaschen nach dem Prinzip der Sammellinse wirken. Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert waren Schusterkugeln im Gebrauch. In Zella und Mehlis wurde vor der Elektrifizierung bis in die dunklen Abendstunden gearbeitet. Im 19. Jahrhundert warben hiesige Auswanderer nach Amerika damit, dass dort weniger, nämlich nur bei Tageslicht, gearbeitet werden muss. Die Haushalte hier wurden bis zur Etablierung der helleren Petroleumlampen ab etwa 1850 meist mit Öl- und Talglichtern, Binsenlichtern oder Kienspänen erleuchtet, denn Kerzen waren teuer. Das doch sehr trübe schwache Licht, aber auch schwaches Tageslicht, konnte durch davor gestellte Glaskugeln in einem Punkt gebündelt und intensiviert werden. Zudem lag der erzeugte Lichtfleck in einigem Abstand zur heißen Lichtquelle, was die Arbeit mit wärmeempfindlichen Materialien erleichterte. Es musste jedoch darauf geachtet werden, dass die Kugeln innen nicht verschmutzten oder verkalkten, um die Lichtausbeute hoch zu halten. Deshalb wurden sie manchmal auch mit Alkohol oder abgekochtem Essig befüllt.
Vereinfachtes Schaubild des physikalischen Prinzips der Lichtbrechung an einer Schusterkugel.
Als Schusterkugel wird sie bezeichnet, weil Schuster gemeinhin als arme Handwerker galten, die in ihren Werkstätten nur wenige kleine Fenster und somit auch wenig Licht zur Verfügung hatten. Ihnen half die vergleichsweise günstige Schusterkugel, ihren Arbeitsplatz punktgenau zu beleuchten. Vollglaskugeln oder geschliffene Lupengläser erzeugen den gleichen Effekt, sind aber um ein Vielfaches teurer. Um 1800 belief sich der Preis für eine Schusterkugel ja nach Größe auf zehn Pfennige bis zwei Groschen. Aber nicht nur Schuster werden mithilfe dieser Art Kugel gearbeitet haben. In Krünitz` Oeconomischer Encyclopädie Band 59 aus dem Jahr 1793 wird die Schusterlampe unter der Bezeichnung Klöppel-Flasche oder Klöppel-Glas beschrieben: „Es giebt zweyerley Arten: entweder solche, die man auf einen Tisch setzen kann, und deren man sich insonderheit beym Klöppeln bedient; oder solche, die bey andern Arbeiten und von verschiedenen Handwerkern, als: Schuh=Machern, Schneidern, Strumpf=Wirkern, auch so gar von den Lein=Webern, zum Aufhängen gebraucht werden.“ Gerade in Zella und Mehlis ist die Verwendung auch in anderen Handwerksberufen, die feinteiliges Arbeiten und eine hohe Präzision erfordern, wie bei den Graveuren und Metallhandwerkern, denkbar. Ein Händler für Goldschmiedebedarf bietet auch heute noch befüllbare Glaskugeln auf einem gedrechselten Fuß unter der Bezeichnung „Goldschmiedepokal“ zum Verkauf an.
Grafische Darstellung der Arbeit an vier Schusterlampen, Mitte des 19. Jahrhunderts.
In der Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet die Schusterkugel oft in Abhandlungen über medizinische Untersuchungen, z. B. der Augen, Ohren oder des Kehlkopfs Erwähnung. Selbst als Hilfsmittel zur besseren Ausleuchtung bei Operationen wurde sie wohl genutzt. Auch in der zeitgleich boomenden Mikroskopie wurden Schusterkugeln, gefüllt mit blau gefärbtem Wasser, zur punktgenauen Beleuchtung eingesetzt.
Mit der zunehmenden Elektrifizierung, diese begann im Mehlis ab 1898 mit anfangs 1100 Glühlampen, wurden das Hilfsmittel Schusterlampe sicher nach und nach überflüssig. Schon kurz vor 1900 war es Mode, sie auch als Blumenvasen zu nutzen. Heute werden Schusterkugeln nur noch ganz vereinzelt eingesetzt. In katholischen Gegenden werden zu Ostern zunehmend wieder die sogenannten „Heiligen Gräber“ in Kirchen aufgebaut. Dabei handelt es sich um vor allem in der Barockzeit populäre Grabkulissen, mit deren Hilfe Christus Grablege und Auferstehung zur Osterzeit theaterartig nachgespielt und für die Gläubigen erlebbar gemacht wurde. Beleuchtet wurden und werden sie mit Hilfe der Schusterkugeln. Diese werden mit verschieden bunt gefärbtem Wasser gefüllt. Vor einer flackernden Lampe oder Kerze befestigt, verbreiten sie ein geheimnisvolles Licht in der abgedunkelten Kirche.
Mit farbigen Schusterkugeln illuminiertes Heiliges Grab in der Wallfahrtskirche Mariastein, Tirol.(Foto: Ironbernietyrol)
Ein Patent, das wieder besser in die Weihnachts- und Winterzeit passt, verdanken wir ebenfalls der Schusterkugel. Der Werkzeugmacher Erwin Perzy aus Österreich forschte um 1900 nach einer besseren Ausleuchtung für Operationssäle. Um die Lichtausbeute zu erhöhen, versah er das Wasser der Schusterkugel versuchsweise mit verschiedenen Zusätzen. Als er Grieß einfüllte, sank dieser nur langsam nach unten und vermittelte den Eindruck eines Flockenwirbels. Die Schneekugel war erfunden und erfreut nach wie vor in unzähligen Varianten Kinder und Erwachsene vor allem zur Weihnachtszeit.
Wer nach den Stichworten „Sendung mit der Maus“ und „Schusterkugel“ sucht, wird fündig und bekommt die Funktionsweise erklärt. Warum also nicht mal zu Hause im Dunkel der aktuellen Jahreszeit mit ungewöhnlicher Beleuchtung und dem Prinzip der Lichtbrechung experimentieren? Eine Kerze, eine wassergefüllte Glaskugel, ein Gestell/ ein Kugelhalter und schon geht es los. Ob man das Wasser einfärbt (Lebensmittel- oder Ostereierfarbe) oder mit Füllstoffen wie Grieß versieht, bleibt dabei jedem selbst überlassen. (ms)
Glossar
Museum
"Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch."
ICOM-Museumsdefinition 2023