Objekt des Monats
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Objekt des Monats April 2023 – Die Beschusszelle im Stadtmuseum in der Beschußanstalt
Am 1. April 2023 wurde die Beschußanstalt in Zella-Mehlis 130 Jahre alt.
Dieses Jubiläum haben wir zum Anlass genommen, unsere Beschusszelle einmal näher unter die Lupe zu nehmen.
Die Beschusskammer befindet sich im Ausstellungsteil der Zella-Mehliser Waffen im Stadtmuseum in der Beschußanstalt und zeigt den Erstbeschuss der Waffenläufe.
Insgesamt 10 solcher Beschusszellen gab es in der Beschußanstalt zu Betriebszeiten, wie aus einer historischen Bauzeichnung hervorgeht.
Auf staatlichen Beschluss hin nimmt die Herzoglich-Sächsische Beschußanstalt in Zella-Mehlis am 1. April 1893 ihren Dienst auf. Das Reichsgesetz vom 19. Mai 1891 sieht neben dem Bau entsprechender Beschußanstalten vor, dass alle Langwaffen, Kurzwaffen und alle rohen Läufe mit einer vorgeschriebenen verstärkten Gebrauchsladung in ein- oder mehrmaliger Beschussprobe beschossen und mit dem staatlichen Prüfstempel versehen werden müssen. In den aktuellen Sprachgebrauch übersetzt, könnte man diesen Vorgang mit dem TÜV für Handfeuerwaffen übersetzen.
Auszug aus dem Reichsgesetz: Gesetz, betreffend die Prüfung der Läufe und Verschlüsse der Handfeuerwaffen. Vom 19. Mai 1891.:
§2 Die Prüfung besteht in einer Beschußprobe mit verstärkter Ladung. Die Prüfung findet bei Terzerolen und Revolvern einmal statt. Auch bei anderen Handfeuerwaffen kann, wenn dieselben Würgebohrung nicht erhalten haben, die Prüfung auf Antrag des Einsenders auf eine einmalige Beschußprobe beschränkt werden. Im Uebrigen findet eine zweimalige Beschußprobe statt, die erste mit vorgerichteten Läufen, die zweite (Endprobe) nach Fertigstellung der Läufe einschließlich der Vereinigung bei Mehrläufen und der Anbringung der Verschlußstücke. Findet auf Antrag des Einsenders eine einmalige Prüfung statt, so ist dieselbe an den Waffen in dem sonst für die zweite Probe vorgeschriebenen Zustande vorzunehmen.
In den Beschusskammern oder -zellen fand der Erstbeschuss der Läufe statt.
Beidseitig des Beschussapparats, in welchem gleich mehrere Läufe eingespannt werden konnten, gab es Sandschüttungen, die den Rückstoß und verschossene Projektile auffingen. Die Wände sowie die Decke der Kammern waren mit Holz ausgekleidet.
Leider sind die Zellen nicht erhalten geblieben, sodass auch unsere Zelle eine Rekonstruktion zu musealen Anschauungszwecken darstellt. Allerdings konnte zumindest die Decke aus einer der alten Beschusskammern gesichert und in die neue Zelle integriert werden.
Die Beschussvorrichtung bzw. der -apparat ist original, stammt aber ursprünglich nicht aus Zella-Mehlis.
Das Personal der Beschußanstalt umfasste den Beschussmeister, mehrere Beschussgehilfen, Hilfsarbeiter, den Wärter bzw. Hausmeister und einen Kassierer. Die Leitung des Hauses unterstand dem Direktor. Bei Bedarf wurden zusätzliche Arbeiter befristet eingestellt.
Mit der Einlieferung der Waffen wurden sogenannte Beschusszettel ausgestellt. Der Beschussmeister und die Gehilfen überprüften die Waffen nach den gesetzlichen Vorschriften und bestückten sie mit der Probeladung, welche direkt im Haus zusammengestellt wurde. Im Anschluss erfolgte die eigentliche Beschussprobe, je nach Waffenart im Laufbeschussraum oder in der Beschusszelle. Danach wurden die Läufe mit kochendem Öl und Seifenlauge gereinigt. Zuletzt erhielten die Waffen das Beschusszeichen und wurden zur Abholung durch die Auftraggeber bereitgestellt.
Die Arbeit in der Beschußanstalt war durch mögliche berstende Läufe beim Beschuss bzw. Querschläger höchst gefährlich. Daher waren alle Beschusskammern mit schweren Holztüren versehen, die während des Beschusses verschlossen wurden. Den Beschussapparat löste man von außen über eine extra durch die Wand führende Perkussionsvorrichtung (später elektrisch) aus.
Doch nicht nur absplitterndes Material war gefährlich, auch die beim Abfeuern der Munition in den Kammern entstehenden giftigen Bleidämpfe waren hochgradig gesundheitsschädigend. Viele Mitarbeiter erlitten in der Anfangszeit des Beschussanstalts-Betriebes eine Bleivergiftung, denn trotz der Türen an den Kammern verteilten sich die giftigen Dämpfe im ganzen Haus, da man die Türen nach dem Beschuss wieder öffnen musste.
Es wurde in der Folgezeit jahrelang an einer zufriedenstellenden Lösung für dieses Problem gearbeitet und verschiedene Ansätze ausprobiert. Aber erst, als man eine komplette Lüftungsanlage mit Heizvorrichtung im Keller und dem hohen Abzugs-Schornstein eingebaut hatte, konnten deutliche Verbesserungen bei der Gesundheit der Mitarbeiter erreicht werden.
Bis zur Schließung am hiesigen Standort im Jahr 1942 und der Verlegung an den Böhmerberg wurden in der Beschußanstalt etwa 15 Millionen Waffen beschossen. Diese Zahl gibt einen guten Einblick in die Bedeutung der Zella-Mehliser Waffenindustrie bis zum Ende des II. Weltkrieges. Nach 1945 erfolgte die Liquidierung der hiesigen Waffenindustrie und das neue Beschussamt wurde anderweitig genutzt.
Bis 1990 wurde das historische Gebäude der Beschußanstalt als Fabrikgebäude genutzt und ab 1998 zum Stadtmuseum umgebaut. Das neu gestaltete Stadtmuseum in der Beschußanstalt eröffnete im Jahr 2002 mit einer Teilausstellung und 2004 mit der vollständigen Dauerausstellung.
Der Waffenbeschuss mit der nachgestellten Beschusszelle ist heute Teil der Dauerausstellung und kann zu den gewohnten Öffnungszeiten besichtigt werden. (jk)
Beschussvorrichtung
Kaputte Läufe
Originale Beschusszellendecke - gerettet aus der ehemaligen Beschußanstalt
Vorgearbeitete Läufe, fertig zum ersten Beschuss, historische Aufnahme